Mit einem Anteil von rund 20 Prozent machen psychische Diagnosen laut Techniker Krankenkasse das dritte Jahr in Folge den höchsten Anteil der krankheitsbedingten Fehlzeiten aus. Dem Thema psychische Gesundheit im Unternehmen kommt eine immer größere Bedeutung zu. Dr. Oliver Borszik ist Referent des Projekts Fachkräfte für Hamburg und ausgebildeter Resilienz-Trainer. Er erläutert, was Unternehmen für die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeitenden tun können und wie Resilienz auch trainiert werden kann.
Was sind die Gefahren, wenn Beschäftigte den Fokus verlieren und sich überfordert fühlen?
Bekannte Belastungsfaktoren sind Zeitdruck, Arbeitsunterbrechungen oder Konflikte am Arbeitsplatz. Gerade während der Coronapandemie kam bei einigen Beschäftigten die Ungewissheit hinzu, ob der Arbeitsplatz überhaupt bestehen bleibt. Extreme oder chronische Stressbelastungen können dazu führen, nicht mehr handlungsfähig zu sein.
Manifestieren sich Erschöpfungszustände, kann eine psychische Beeinträchtigung entstehen, die sich vor allem innerlich äußert und für Vorgesetzte und Kollegen/-innen nicht unmittelbar erkennbar ist. Neben Depressionen und Angststörungen zählen somatoforme Störungen, die mit körperlichen Beschwerden einhergehen, zu den häufigsten psychischen Erkrankungen.
Kann man Stressregulation lernen?
Wir können unser seelisches Immunsystem im Umgang mit Schwierigkeiten, denen wir begegnen, und den Dingen, die uns Kraft, Hoffnung und Freude bringen, stärken. Wichtig ist das Zusammenspiel aus Aktivierung und der Entspannung.
Beschäftigte können selbst vorbeugen und positive, temporäre Belastungen ausgleichen, indem sie gute äußere Rahmenbedingungen schaffen und aktivierende sowie entspannende Techniken erlernen und einüben.
In Trainings zur Förderung von Resilienz und zur Regulation von Stress werden diese Techniken und Strategien vermittelt. Teilnehmende werden sensibilisiert, körperliche Reaktionen an sich selbst und bei anderen besser wahrzunehmen und zu berücksichtigen. Und sie lernen, eigene und teilweise unbewusste Ressourcen – eine Lieblingsaktivität, ein Ort, eine neue Haltung oder Perspektive und vor allem sinnstiftende menschliche Beziehungen und Kontakte – zu erschließen oder zu aktivieren.
Was versteht man unter Resilienz?
Resilienz ist unsere Fähigkeit, sich gut und in kurzer Zeit von belastenden Ereignissen oder Situationen im Leben erholen zu können – diese Reaktion ist eher Regel als Ausnahme. Oft wird Resilienz missverstanden im Sinne einer charakterlichen Eigenschaft, die wir haben oder eben nicht. Heute wissen wir aus der aktuellen psychologischen Forschung, dass es etwas komplexer ist. Unsere Resilienzfähigkeit entsteht und entwickelt sich vor allem bei positivem Stress und gesunder Belastung.
Im Idealfall verfügen wir – wie bei einer ausbalancierten Waage – über ausreichende Ressourcen, um Belastungen und Anforderungen, die am Arbeitsplatz oder im Privatleben auf uns einwirken, zu begegnen. Wir befinden uns im Handlungsbereich und sind in der Lage, klare Gedanken zu fassen und rationale Entscheidungen zu treffen, Gefühle angemessen wahrzunehmen oder körperliche Reaktionen bewusst einzuordnen.
Was kann das Unternehmen vorbeugend tun?
Mit Seminaren oder konkreten Angeboten zu den Themen Resilienz, Stressmanagement, Teambuilding oder Konfliktmanagement können Unternehmen gezielt psychischer Belastung vorbeugen und die mentale Gesundheit der Belegschaft erhalten oder stärken.
Unternehmen, die über die gesetzlichen Vorgaben hinaus die Mitarbeitergesundheit fördern, beispielsweise in Form eines betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM), handeln zukunftsorientiert. Denn Investitionen in die betriebliche Gesundheit erhöhen nachweislich die Motivation und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten und führen somit zu geringeren Krankenständen, mehr Produktivität und höherer Wettbewerbsfähigkeit.
Wie kann man im Unternehmen mit Anzeichen von psychischer Überlastung umgehen?
Ein Patentrezept zum Umgang mit psychischen Überlastungen oder Beeinträchtigungen am Arbeitsplatz gibt es nicht. Denn so individuell eine wahrgenommene Überlastung oder Erkrankung ist, so individuell ist auch die Situation in einem Betrieb.
Ein offenes Betriebsklima und ein Bewusstsein für das Thema mentale Gesundheit wirken sich positiv auf Betroffene aus. Vorgesetzte und Beschäftigte sollten sich im Umgang mit psychischen Auffälligkeiten jedoch bewusst sein, dass sie nicht über die Fachkompetenz verfügen, professionelle Hilfe geben zu können. Zudem möchten Mitarbeitende ihr persönliches Empfinden möglicherweise nicht offenbaren.
Betroffenen ist bereits geholfen, wenn Vorgesetzte oder Kollegen/-innen Überlastung wahrnehmen und erkennen, sobald sich Anzeichen verdichten. Um Klarheit darüber zu bekommen, inwieweit eine Person belastet oder beeinträchtigt ist und sich professionelle Hilfe suchen sollte, ist ein persönliches Gespräch notwendig.
Mehr zum Thema psychische Gesundheit und Teilhabe an Ausbildung und Arbeit erfahren Sie bei folgender kostenfreien Online-Veranstaltung, die von Dr. Oliver Borszik geleitet wird.
Forum Inklusion:
Umgang mit psychischen Beeinträchtigungen
Dienstag, 28. September 2021,
10:00 Uhr bis 12:00 Uhr
Weitere Informationen zur Veranstaltung finden Sie hier.
Sie haben Interesse an einer Inhouse-Veranstaltung zum Thema Resilienz? Anfragen richten Sie gerne an Dr. Oliver Borszik und Silke Potthast, die gemeinsam Seminare für Führungskräfte und Mitarbeiter/-innen anbieten.
Kontakt
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Das Projekt "Fachkräfte für Hamburg" wird von der Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration der Freien und Hansestadt Hamburg im Rahmen des
Aktionsbündnisses für Bildung und Beschäftigung Hamburg – Hamburger Fachkräftenetzwerk finanziert.