04.02.2021

Verlängerung der Ausbildungsdauer?

Jörn Lamprecht und Sophie Schelle von der Stadtreinigung Hamburg
Jörn Lamprecht, Ausbildungsleiter, und Sophie Schelle, Auszubildende in Teilzeit, von der Stadtreinigung Hamburg sind sich einig: Eine Erhöhung der Ausbildungsdauer ist unnötig.

Wenn sich die Ausbildungsdauer fast verdoppelt, dann ist die Teilzeitausbildung nicht mehr attraktiv. Das ServiceCenter Teilzeitausbildung und das Bundesweite Netzwerk Teilzeitberufsausbildung sprechen sich daher gegen eine Verlängerung der Ausbildungsdauer in Teilzeit aus.
 
Wer Zuhause Sorgearbeit leisten muss, hat es schwer eine Ausbildung in Vollzeit zu absolvieren. Immer mehr Unternehmen ermöglichen daher die Ausbildung in Teilzeit umzusetzen. Dieses Angebot nehmen besonders junge Mütter in Anspruch und schaffen sich so eine solide Basis für ihre berufliche Zukunft. Teilzeitausbildung bietet die optimale Möglichkeit Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren.

Öffnung der Teilzeitausbildung für weitere Personengruppen

Mit der Neuregelung im Berufsbildungsgesetz (BBiG) Anfang letzten Jahres wurde das Angebot der Ausbildung in Teilzeit nun auch für andere Personengruppen geöffnet. Menschen mit Behinderungen, lernbeeinträchtigte Personen oder Geflüchtete dürfen beispielsweise auch eine Teilzeitausbildung absolvieren. Auszubildende und Ausbildender/-innen vereinbaren dabei individuell den Umfang, um den die Ausbildungszeit im Betrieb täglich oder wöchentlich verkürzt wird und stimmen diesen mit der Kammer ab. Die Berufsschulzeiten bleiben in der Regel unverändert.

Verlängerung der Ausbildungsdauer als Folge

Das Gesetz sieht seit der Novellierung vor, dass sich die Ausbildungsdauer grundsätzlich entsprechend der reduzierten Stundenzahl verlängert. Wird die Arbeitszeit im Betrieb im Rahmen einer Teilzeitausbildung auf 75 Prozent reduziert, wird die Gesamtdauer der Ausbildung um 25 Prozent erhöht. Die dreijährige Ausbildung verlängert sich also noch mal um 9 Monate.  Ein Abschluss in der regulären Dauer ist nur nach individueller Prüfung und Bewilligung durch die zuständigen Kammern im Einzelfall möglich. Außerdem setzt sie bestimmte Kriterien voraus, wie beispielsweise einen höheren Schulabschluss.

Das ServiceCenter Teilzeitausbildung ist skeptisch

Nicole Adamski vom ServiceCenter Teilzeitausbildung im Gespräch mit Sophie Schelle.
Nicole Adamski vom ServiceCenter Teilzeitausbildung im Gespräch mit Sophie Schelle.

"Für die Mütter und Väter ist es eine zu große Hürde, sich auf fast vier Jahre Ausbildung oder sogar länger einzustellen", so Tanja Grohmann vom ServiceCenter Teilzeitausbildung. "Sie entscheiden sich ja für diese Doppelbelastung, da sie ihre Familie finanziell unterstützen wollen. Wenn dieses Ziel in so weite Ferne rückt, dann verlieren viele sicher ihren Mut." Ihre Kollegin Nicole Adamski ergänzt: "In all den Jahren unserer Tätigkeit war es gängige Praxis, dass die Auszubildenden ihren Abschluss in der regulären Zeit erreichen konnten. Wir befürchten negative Konsequenzen, wenn sich die Ausbildungsdauer nun grundsätzlich verlängert."

Mütter in Teilzeitausbildung wollen für die Familie sorgen

 

Sophie Schelle ist Auszubildende zur Kauffrau für Büromanagement bei der Stadtreinigung Hamburg. Sie sagt: "Ich bin froh nach 2,5 Jahren die Ausbildung abschließen zu können, denn ich wollte es unbedingt, auch für meine Familie. Durch die Möglichkeit, die Ausbildung ebenso schnell wie Vollzeitausbildende durchzuführen, habe ich einen besonderen Ehrgeiz entwickelt. Ich weiß nicht, ob ich eine Ausbildungsdauer von 4,5 Jahren in Kauf genommen hätte."

Auch Samira Heidemann, Auszubildende der All Invest GmbH, macht ganz klar: "Eine Ausbildung in 4,5 Jahren käme für mich nicht in Frage. Ich verpasse in meiner Ausbildung keine schulischen Inhalte und arbeite im Betrieb nur ein bis zwei Stunden weniger am Tag als die Vollzeit-Azubis. Außerdem ist es mir wichtig, irgendwann im Leben anzukommen und für meine Familie Geld zu verdienen."

Stimmen aus den Unternehmen

"Wir bilden seit 2009 in Teilzeit aus", berichtet Jörn Lamprecht, Ausbildungsleiter der Stadtreinigung Hamburg. "Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass von den 15 Auszubildenden, die wir in Teilzeit ausgebildet haben, acht die Ausbildung sogar in verkürzter Zeit geschafft haben. Sechs haben die Teilzeitausbildung in nur 2,5 Jahren absolviert und zwei sogar in nur 2 Jahren."

Simone Leimbach vom Bildungsdienstleister WBS Training in Wuppertal untermauert diesen Eindruck. "Wir machen seit vielen Jahren die Erfahrung, dass unsere Teilzeitauszubildenden sehr gut organisiert sind, über ein hervorragendes Zeitmanagement verfügen und somit die Ausbildung durchaus innerhalb von 2,5 bis 3 Jahren bewältigen können." Und auch Sadic Ucar, Geschäftsführer der All Invest GmbH in Bottrop, sagt: "Aus meiner Sicht ist die Ausbildungszeit absolut ausreichend, weil die Berufsschule in vollem Umfang besucht wird. Es ist eine Ausbildung und kein Studium – und dabei soll es auch bleiben."

Appell an den Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung

Nicole Adamski und Tanja Grohmann stimmen dem eindringlichen Appell des Netzwerkes Teilzeitberufsausbildung an den Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung zu, von einer Verlängerung der Ausbildungsdauer abzusehen. "Wir befürworten die Flexibilisierung, die die Novellierung des BBiG mit der generellen Erweiterung der Zielgruppe bringt", erläutert Nicole Adamski. "Gleichwohl sehen wir eine große Hürde darin, dass die Teilzeitausbildung grundsätzlich in der Dauer verlängert wird. Wir fordern das Bundesinstitut für Berufsbildung auf, eine Empfehlungen zu erarbeiten, die den Ausbildungsabschluss in Teilzeit für Familiensorgende auch weiterhin in der Regeldauer nahelegt."

In einem Video hat das bundesweite Netzwerk Teilzeitberufsausbildung seinen Einspruch mit Statements aus der Praxis unterlegt.

Fotos: © KWB e. V.

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